Neuroplastizität

Hast Du Dich schon einmal gefragt, wie es möglich ist, eine neue Sprache oder ein Instrument zu lernen? Oder was passiert, wenn Du für die Schule lernst und dabei eine ganze Fülle an neuen Informationen aufnimmst? Diese alltäglichen Vorgänge sind nur dank der Neuroplastizität bzw. neurologischen Plastizität des Gehirns möglich.

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Inhaltsverzeichnis
Inhaltsangabe

    Definition zur Neuroplastizität

    Dank der Neuroplastizität kann sich das Gehirn auf veränderte Ansprüche einstellen und sich anpassen.

    Unter Neuroplastizität versteht man die funktionellen und strukturellen Veränderungen des Gehirns durch Knüpfen oder Entfernen neuronaler Verbindungen zur Anpassung an veränderte physiologische Ansprüche.

    Bedeutung der Neuroplastizität

    Die Nervenzellen in unserem Gehirn ermöglichen uns, unsere Sinne zu nutzen und somit die Welt, um uns herum wahrzunehmen und uns auszudrücken. Außerdem bildet Neuroplastizität die Basis für Lernvorgänge. Sie findet nicht nur im Kindesalter statt, sondern begleitet uns durch das gesamte Leben.

    Im menschlichen Gehirn befinden sich in etwa 100 Milliarden Nervenzellen. Verbindungen zwischen ihnen werden ständig neu geknüpft, verstärkt oder abgebaut.

    Kurz nach der Geburt entsteht ein regelrechter Überschuss an Verbindungen im Nervensystem. Manche dieser Verbindungen werden - je nach Anspruch - jedoch wieder abgebaut. Es hängt also von den Umweltfaktoren ab, wie das Gehirn im Detail geformt wird. Verbindungen, die regelmäßig genutzt werden, werden weiter verstärkt, während unbenutzte Verbindungen abgebaut werden.

    Durch gezielte Stimulation, motorische Beanspruchung und angepasste Übungen verändert sich das Gehirn in seiner Morphologie. Hirnareale, die häufig beansprucht werden, nehmen nachweisbar an Masse zu, da sich das Netzwerk zwischen Synapsen immer mehr ausbreitet. Diese Anpassung hilft dem Gehirn, sich auf neue Ansprüche einzustellen.

    Sensible Phasen der Neuroplastizität

    Es gibt sogenannte sensible Phasen, in denen die Plastizität und damit die Entwicklungs- und Lernfähigkeit erhöht sind. In diesen sensiblen Phasen müssen bestimmte Umweltfaktoren gegeben sein, um das volle Potenzial erreichen zu können.

    Um besser zu verstehen, wann das Gehirn sensible Phasen erfährt, wurden die Anpassungsmechanismen von Menschen mit Einschränkungen untersucht. Viele der Proband*innen waren im Laufe des Lebens untypischen Situationen ausgesetzt, mit denen die meisten Menschen niemals konfrontiert werden. Das ist z. B. der Fall bei Menschen, die blind oder taub geboren werden oder erst im Laufe des Lebens diese Sinne verlieren. Die Gehirne dieser Menschen wurden dann untersucht und mit solchen verglichen, die den Verlust oder das Fehlen von bestimmten Sinnen nicht kompensieren mussten. Sind zwischen beiden Gruppen morphologische Unterschiede zu erkennen, können Rückschlüsse auf die beteiligten Hirnareale gezogen werden.

    Eine weitere, essenzielle Bedeutung der Neuroplastizität ist die Selbstheilung des Gehirns.

    Selbstheilung des Gehirns durch Neuroplastizität

    Erleidet das Gehirn ein Trauma, können gewisse Funktionen für immer oder eine bestimmte Zeit eingeschränkt sein.

    Nach einem Schlaganfall kommt es häufig zu Störungen der Motorik und des Sprechverhaltens, da durch die Hirnblutung Areale beschädigt wurden, die für alltägliche Abläufe verantwortlich sind.

    Lange wurde angenommen, dass Hirnschäden irreversibel wären und verlorene Funktionen nie wieder zurückerlangt werden könnten. Mittlerweile ist jedoch bekannt, dass das Gehirn diese Schäden bis zu einem gewissen Grad reparieren kann. Schäden, die nicht reparabel sind, können dann oft kompensiert werden.

    Diese Kompensation des fehlenden oder verlorenen Sinns ist z. B. bei blinden Menschen gut zu beobachten. Sie können meist deutlich besser hören und haben ein ausgeprägteres räumliches Verständnis, wobei ihnen der Schall hilft.

    Kollaterale Axonsprossung

    Dieses Phänomen wird durch die sogenannte kollaterale Axonsprossung unterstützt. Hierbei sprossen Axone aus benachbarten Hirnarealen in die beschädigte Region aus, um die Aufnahme und Weiterleitung von Signalen sicherzustellen. Überwiegend geschieht dies im peripheren Nervensystem und weniger im zentralen Nervensystem, da sich die Zelltypen und der Aufbau des ZNS nicht besonders hierfür eignen.

    Zur Kompensation gehört auch die Übernahme von Aufgaben durch benachbarte, intakte Hirnareale. Bezeichnet wird diese Fähigkeit als Vikariation.

    Leider kann dieses eigentlich wunderbare Phänomen auch negative Folgen haben. Es kann durch die neu gewonnene "Verschaltung" zu abnormalen Funktionen kommen, da Nervenzellen und ihre Verbindungen untereinander oft hoch spezialisiert sind. Das kann wiederum zu fehlerhafter Signalweiterleitung führen.

    Arten der Neuroplastizität

    Die Neuroplastizität stützt sich auf zwei Grundpfeiler: die kortikale und die synaptische Plastizität.

    Kortikale Plastizität

    Die kortikale Plastizität beschreibt die Veränderungen der Größe, Verbindungen und Aktivierungsschemata zwischen Neuronen aufgrund von variierender Beanspruchung eines Hirnareals.

    Synaptische Plastizität

    Die Änderung der Intensität einer Reizübertragung an den Synapsen aufgrund der Nutzung eines bestimmten Hirnareals wird als synaptische Plastizität beschrieben.

    Änderungen in der Morphologie als auch in der Physiologie der Synapse haben eine zentrale Rolle bei der synaptischen Plastizität. Es handelt sich hierbei um einen neurophysiologischen Mechanismus, welcher für Lernprozesse und die Gedächtnisfunktion unerlässlich ist.

    Die synaptische Plastizität kann weiterhin in die Kurz- und Langzeitplastizität unterschieden werden. Dem Namen entsprechend ist bei der Kurzzeitplastizität die Übertragungsstärke der Neuronen nur für wenige Millisekunden bis Minuten erhöht, bei der Langzeitplastizität jedoch mehrere Minuten bis zu Stunden. In Ausnahmen hält sie sogar ein Leben lang an.

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    Einfluss auf die synaptische Plastizität

    Die Reizübertragung an den Synapsen kann sowohl verstärkt (Potenzierung) als auch gehemmt (Depression) werden. Beide Formen können kurzzeitig oder langzeitig ausgeprägt sein. Hierbei spricht man dann von einer Lang- oder Kurzzeit-Potenzierung bzw. Lang- oder Kurzzeit-Depression.

    Die Beeinflussung der Reizübertragung kann prä- und postsynaptischen Ursprungs sein.

    Als präsynaptisch wird die Zelle bezeichnet, von welcher das Signal ausgeht. Postsynaptisch hingegen bezeichnet die Nervenzelle, die das Signal aufnimmt und je nachdem weiterleitet bzw. hemmt.

    Bei der präsynaptischen Beeinflussung der Plastizität ändert sich die Menge des freigesetzten Transmitters, welches je Aktionspotenzial abgegeben wird. Die Geschwindigkeit der Wiederaufnahme des Neurotransmitters in die präsynaptische Zelle kann jedoch auch beeinflusst werden.

    Die postsynaptische Plastizität ist hingegen dadurch ausgezeichnet, dass sich das Ausmaß der Reaktion der postsynaptischen Antwort auf eine bestimmte Menge von Transmitter ändert. Die Menge von postsynaptischen Transmitter-Rezeptoren spielt hier eine entscheidende Rolle. Je mehr dieser Rezeptoren vorhanden sind, desto mehr Transmitter kann gebunden werden und somit die spezifische Wirkung entfalten.

    Außerdem können Rezeptoren modifiziert werden, sodass sie mehr oder weniger Transmitter binden, und es können Enzyme gebildet werden, die Einfluss auf die Aufenthaltsdauer der Transmitter im synaptischen Spalt haben.

    Neuroplastizität – Phasen

    Die Neuroplastizität setzt sich grundlegend aus drei Phasen zusammen:

    1. Proliferation

    2. Pruning

    3. Konsolidierung

    In der ersten Phase - der Proliferation - werden neue Synapsen gebildet. In dieser Phase findet eine verstärkte Expression von Myelin statt.

    Myelin ist eine Substanz, die aus Proteinen und Fetten besteht und die Axone der Nervenzellen umgibt, damit elektrische Signale schneller weitergeleitet werden können.

    Um keine unbrauchbaren Verbindungen aufrechtzuerhalten und Platz für neue, wichtigere Dinge zu schaffen, müssen ungenutzte Synapsen wieder entfernt werden. Dieser Vorgang wird als Pruning bezeichnet und heißt zu Deutsch beschneiden oder zurechtstutzen, wie es auch bei Bäumen und Sträuchern getan wird. So wird die Effizienz des Gehirns gesichert.

    In der letzten Phase wird die Nutzung von neuronalen Verbindungen und Netzwerken automatisiert, was als Konsolidierung bezeichnet wird. In der Medizin beschreibt dieser Begriff generell die Verfestigung bzw. Heilung von Verletzungen oder Krankheiten.

    Einflüsse auf die Neuroplastizität

    Wie bei den meisten körperlichen Funktionen auch kann die Neuroplastizität von äußeren Faktoren stark beeinflusst werden. Hierzu gehört sowohl das mentale als auch körperliche Wohlbefinden sowie körperliche Auslastung und Stress.

    Aber auch soziale Einflüsse haben einen Einfluss auf das Gehirn. Aufmerksamkeit, Lob und Kritik haben einen großen Einfluss auf das Lernverhalten und das Gedächtnis.

    Neuroplastizität Therapie

    Wie kann man nun dieses Prinzip für eine Therapie anwenden?

    Grundsätzlich wird das Wissen über die neuronale Plastizität des Gehirns genutzt, um nach einer Beschädigung den natürlichen Heilungsprozess zu unterstützen. Deswegen wird z. B. nach einem Schlaganfall mit dieser Therapieform gearbeitet. Diese darf jedoch nicht zu früh begonnen werden, da das Gehirn nach einem Trauma eine Regenerationsphase mit viel Ruhe benötigt, um im Anschluss wieder optimal heilen zu können. In dieser Zeit wäre eine Therapie kontraproduktiv.

    Therapeutische Maßnahmen beinhalten:

    • Gedächtnis- und Konzentrationstraining

    • Wiederherstellung verlorener oder eingeschränkter Motorik

    • Orientierungsübungen

    • Behandlung von Ausfällen der Sinneswahrnehmungen

    Die zuvor behandelte Vikariation spielt hierbei eine besondere Rolle. Intaktes, gesundes Gewebe verbindet sich mit dem abgestorbenen Gewebe und übernimmt so neue Aufgaben, um den Verlust zu kompensieren. Der beschädigte Bereich des Gehirns ist nach dem Trauma gleichzeitig deutlich besser modellierbar, was die Therapie bei korrekter Anwendung weiter unterstützen kann.

    Die strukturellen Veränderungen nach einer Schädigung des Gehirns können dann über ein MRT (= Magnetresonanztomografie) oder einen PET-Scan (= Positronen-Emissions-Tomografie) nachverfolgt werden.

    Neuroplastizität Übungen

    Die gezielte Anregung der Neuroplastizität kann durch sogenannte Induktoren herbeigeführt werden. Dabei handelt es sich um Handlungen, die nachgewiesen bestimmte Hirnareale beanspruchen. Motorisches Training, gezielte Reize oder das Unterbinden bestimmter Funktionen kann die Verstärkung neuronaler Verbindungen herbeiführen.

    Hemmt man den Körper daran, bestimmte Funktionen auszuführen, wird das Gehirn dazu gezwungen, diese Einschränkungen so weit wie möglich zu kompensieren.

    Wenn ein Mensch nach einem Unfall z. B. ein Bein nicht mehr bewegen kann, wird das intakte Bein ruhig gestellt, damit das Gehirn diese Einschränkung ausgleicht. Im Idealfall führt das dazu, dass die beschädigte Gliedmaße wieder bewegt werden kann.

    Neuroplastizität – Das Wichtigste

    • Unter Neuroplastizität versteht man funktionelle und strukturelle Veränderungen des Gehirns als Antwort auf veränderte Ansprüche.
    • Bei der Neuroplastizität sind die Proliferation, das Pruning und die Konsolidierung entscheidend. Bei der Proliferation entstehen neue Synapsen, beim Pruning werden ungenutzte Synapsen aussortiert und bei der Konsolidierung Verbindungen und Abläufe gefestigt.
    • Es gibt die kortikale und synaptische Plastizität. Die synaptische Plastizität beschreibt die verstärkte Reizübertragung, welche langfristig oder kurzfristig eintreten kann und sowohl verstärkt als auch gemindert werden kann. Die kortikale Plastizität beschreibt Veränderungen der Größe, Verbundenheit und Aktivierungsmuster von neuronalen Netzwerken.
    • Die Steigerung der synaptischen Plastizität wird als Potenzierung bezeichnet. Bei einer Depression wird die Reizübertragung gemindert.
    • Es gibt sensible Phasen, in denen die Neuroplastizität erhöht ist und somit Lernvorgänge und Gedächtnisleistung gesteigert sind.
    • Fällt ein Hirnareal aus oder wird beschädigt, können benachbarte Areale die Aufgaben des beschädigten Areals übernehmen (Vikariation) oder neue Verbindungen zu diesem Areal herstellen, um die Signalweiterleitung zu gewährleisten (kollaterale Axonsprossung).

    Nachweise

    1. flexikon.doccheck.com: Neuroplastizität. (24.07.22)
    2. active.medicalpark.de: Was ist Neuroplastizität? (24.07.22)
    3. thieme.de: Neuroplastizität. (24.07.22)
    4. dasgehirn.info: Wir formen unser Gehirn. (24.07.22)
    Häufig gestellte Fragen zum Thema Neuroplastizität

    Was ist eine Neuroplastizität? 

    Neuroplastizität bezeichnet die Anpassung des Gehirns auf veränderte physiologische Ansprüche durch das Knüpfen, Verstärken oder Entfernen neuronaler Verbindungen.

    Wie funktioniert Neuroplastizität? 

    Neuroplastizität funktioniert durch das Knüpfen, Verstärken oder Entfernen von Verbindungen zwischen Nervenzellen des Gehirns (= Neuronen).

    Was fördert Neuroplastizität? 

    Neuroplastizität wird sowohl durch motorisches Training als auch durch mentales Training gefördert.

    Was trägt zur neuronalen Plastizität bei? 

    Physiologisch trägt sowohl die kortikale als auch die synaptische Plastizität zur Neuroplastizität bei. Unterstützend kann dann noch mentales sowie motorisches Training unterstützend wirken.

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