Reaktionskinetik – Einfach erklärt
Damit zwei Atome oder Moleküle miteinander reagieren können, müssen sie sich in unmittelbarer Nähe zueinander befinden. Das reicht aber oft noch nicht aus, um eine chemische Reaktion hervorzurufen. Manchmal ist es nötig, von außen Energie zuzuführen – zum Beispiel mit einem Bunsenbrenner, indem Du das Reaktionsgefäß erwärmst. Der Grund dafür ist, dass die Aktivierungsenergie EA bei einigen Reaktionen unter Normalbedingungen (also bei Raumtemperatur und normalem Luftdruck) zu hoch ist. Je höher die Aktivierungsenergie ist, desto langsamer verläuft eine chemische Reaktion in der Regel.
Wenn Du mehr zur Aktivierungsenergie lesen willst, schau Dir doch mal die Erklärung dazu an.
Reaktionskinetik – Definition
Die Reaktionskinetik lässt sich im Allgemeinen wie folgt definieren:
Die Reaktionskinetik ist ein Teilbereich der physikalischen Chemie, der sich mit der Untersuchung der Reaktionsgeschwindigkeit und der Aufklärung von Reaktionsmechanismen befasst.
Schau Dir zu Beginn diese einfache Beispielreaktion an:
Die beiden Edukte (Ausgangsstoffe) A und B reagieren zu einer neuen Verbindung AB. Beide Stoffe werden in gleichem Maße verbraucht. Das heißt, ihre Konzentration c nimmt im Laufe der Reaktion gleich schnell ab. Gleichzeitig steigt die Konzentration von AB mit der gleichen Reaktionsgeschwindigkeit an.
Reaktionskinetik – Differentialgleichung
Die Reaktionsgeschwindigkeit v einer Reaktion kann als Funktion der jeweiligen Konzentrationen c in Abhängigkeit der Zeit t aufgestellt werden. Die Konzentration der Edukte wird auch oft in eckigen Klammern angegeben. Also statt cA für die Konzentration des Ausgangsstoffs A wird dann einfach [A] oder c(A) verwendet, wobei A durch das Edukt ersetzt wird.
Die Reaktionsgeschwindigkeit hängt direkt von der Wahrscheinlichkeit ab, mit der die beiden Edukte eine chemische Reaktion eingehen. Das bedeutet wiederum, dass sie nur von den aktuellen Konzentrationen abhängt. Außerdem hat jede Reaktion eine eigene Geschwindigkeitskonstante k.
Die Geschwindigkeitskonstante k wird in der Reaktionskinetik verwendet, um die Proportionalität (wenn zwei Größen im direkten Zusammenhand zueinander stehen) der Reaktionsgeschwindigkeit v zu den Konzentrationen der Edukte darzustellen. Sie ist indirekt ein Maß für die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion.
Aus diesen beiden Gleichungen ergibt sich eine Differentialgleichung, die auch als Geschwindigkeitsgesetz bezeichnet wird.
Dieses Geschwindigkeitsgesetz gilt aber nur für Elementarreaktionen, also die Einzelschritte einer chemischen Reaktion. Die meisten Reaktionen laufen allerdings über mehrere Einzelschritte ab. Daher wird die Reaktionsgeschwindigkeit für jeden einzelnen Reaktionsschritt ermittelt.
Wenn Du mehr zum Thema Reaktionsgeschwindigkeit erfahren willst, schau Dir gern die Erklärung dazu an.
Reaktionsgeschwindigkeit bestimmen
Wenn Du während eines Versuchs die Konzentrationsänderungen der Edukte oder des Produkts beobachten kannst und anschließend graphisch aufträgst, kannst Du die Reaktionsgeschwindigkeit auch einfach ablesen.
Dazu notierst Du die Anfangskonzentration c1 zur Zeit t1 (zum Beispiel bei Reaktionsbeginn). Anschließend misst Du nach einer kurzen Zeit (t2) die Konzentration des Edukts (c2). Das Gleiche kannst Du auch für das Produkt machen. Für die Reaktionsgeschwindigkeit gilt dann, wie Du oben gesehen hast:
Du kannst also mithilfe eines Steigungsdreiecks die aktuelle Reaktionsgeschwindigkeit berechnen.
In dieser Formel wurde aus dem kleinen d plötzlich ein griechisches Delta Δ. Der Grund dafür ist, dass die Gleichungen weiter oben Differentialgleichungen sind. Das kleine d steht dort für eine unendlich kleine Veränderung. Weil aber bei einem Steigungsdreieck nur eine einfache Differenz abgelesen wird, benutzt man hier meistens das große Delta. Allerdings werden beide Symbole oft gleichbedeutend benutzt.
Reaktionsordnung
Die Reaktionsordnung gibt an, inwiefern die Konzentration der Edukte die Reaktionsgeschwindigkeit beeinflusst. Sie kann nur experimentell ermittelt werden und lässt sich wie folgt definieren:
Die Reaktionsordnung steht für die experimentell ermittelte Abhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit von der Eduktkonzentration. Unterschieden wird zwischen:
Reaktionsordnung | Geschwindigkeitsgesetz |
0. Ordnung | |
1. Ordnung | |
2. Ordnung | oder |
3. Ordnung | oder |
Gebrochene Ordnung (Beispiel) |
Tabelle 1: Die Geschwindigkeitsgesetze der jeweiligen Reaktionsordnungen.
Fall Du mehr zur Reaktionsordnung lernen willst, wirf doch gern mal einen Blick in die Erklärung zu diesem Thema.
Für das Beispiel von oben bedeutet das, dass es sich um eine Reaktion 2. Ordnung handelt, da die Reaktionsgeschwindigkeit von den Konzentrationen beider Edukte (A und B) abhängt. Allerdings wäre auch eine Reaktionsordnung 1. Ordnung möglich, wenn die Reaktionsgeschwindigkeit nur von einem der beiden Edukte abhängt.
Ein Beispiel für chemische Reaktionen mit einer Reaktionsordnung von zwei sind SN2-Reaktionen (Nucleophile Substitution 2. Ordnung), da ihre Reaktionsgeschwindigkeit von zwei Edukten abhängig ist. Die beiden Edukte reagieren bei einer solchen Reaktion nämlich gleichzeitig, also gibt es auch nur einen geschwindigkeitsbestimmenden Schritt: das Aufeinandertreffen der beiden Moleküle unter Überwindung der Aktivierungsenergie.
Stell Dir jetzt mal vor, dass für eine Reaktion zunächst eines der Edukte eine andere Form annehmen muss. Das ist unter anderem bei SN1-Reaktionen (Nucleophile Substitution 1. Ordnung) der Fall. Hier muss der eine Ausgangsstoff erst zu einem Carbenium-Ion werden, das an einem der Kohlenstoffatome eine positive Ladung trägt.
Ein Carbenium-Ion ist ein Kohlenwasserstoff-Molekül, das ein positiv geladenes Kohlenstoffatom besitzt.
Die Bildung eines solchen Carbenium-Ions ist dann der geschwindigkeitsbestimmende Schritt. Das hat zur Folge, dass die Reaktionsgeschwindigkeit nur von der Konzentration dieses einen Edukts abhängt. Also handelt es sich um eine Reaktionsordnung von eins.
Wenn Du mehr zum Thema Nucleophile Substitution wissen willst, schau Dir gern die Erklärung zu organischen Reaktionen im Bereich Organische Chemie an.
Temperaturabhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeiten
Damit es zu einer Reaktion kommen kann, müssen die Teilchen bei einem Zusammenstoß genug Energie mitbringen, um eine Bindung einzugehen. Die zur Verfügung stehende Energie ist abhängig von der kinetischen Energie (Bewegungsenergie) und der Flugrichtung, die beide Teilchen zu einem gegebenen Zeitpunkt haben. Außerdem muss für eine Reaktion mindestens die Aktivierungsenergie aufgebracht werden.
Aus diesem Grund führen nicht alle Zusammenstöße gleich zu einer Reaktion. Im Allgemeinen hängt die Wahrscheinlichkeit, dass es bei einem Zusammenstoß zu einer Reaktion kommt, von der Höhe der Aktivierungsenergie EA und von der Temperatur T ab. Je höher die Temperatur ist, desto wahrscheinlicher ist auch eine Reaktion, weil die Teilchen eine höhere Energie haben. Eine höhere Energie bedeutet wiederum, dass die Aktivierungsenergie leichter überwunden wird.
Arrheniusgleichung
Im Allgemeinen kann man sagen, dass die Reaktionsgeschwindigkeit mit steigender Temperatur zunimmt. Experimente haben gezeigt, dass man die Temperaturabhängigkeit vieler Reaktionen mit der Arrheniusgleichung beschreiben kann. Mit ihr kannst Du die Geschwindigkeitskonstante k einer Reaktion berechnen.
Mit R für die Gaskonstante und A für einen präexponentiellen Faktor. Die Gaskonstante R ist eine physikalische Konstante aus der Thermodynamik. Sie setzt sich aus der Boltzmann-Konstante und der Avogadro-Konstante zusammen.
Wenn Du mehr zur Gaskonstante R lernen willst, schau Dir gern das StudySmarter Original zum Thema Ideales Gas an.
Der präexponentielle Faktor (auch Frequenzfaktor) setzt sich nach der Stoßtheorie aus der Stoßzahl und dem Orientierungsfaktor zusammen. Der Orientierungsfaktor beschreibt die Wahrscheinlichkeit der richtigen Ausrichtung eines Moleküls oder Elements für einen wirksamen Stoß.
Herleitung aus der Stoßtheorie
Die Stoßtheorie versucht den mechanischen Ablauf chemischer Reaktionen zu beschreiben. Dazu geht man davon aus, dass für eine Reaktion ein Stoß stattfinden muss, bei der eine bestimmte Aktivierungsenergie überschritten wird.
Manchmal lässt sich die Temperaturabhängigkeit nicht mit der Arrheniusgleichung beschreiben, sodass auf die Stoßtheorie zurückgegriffen werden muss. Sie bildet die Grundlage für die Herleitung der Arrheniusgleichung. Die Stoßtheorie liefert allerdings nur für solche Reaktionen brauchbare Werte, die in der Gasphase stattfinden. Hierbei geht man davon aus, dass die Reaktionsgeschwindigkeit von der Anzahl der Stöße und der Wahrscheinlichkeit, dass bei einem Zusammenstoß genug Energie vorhanden ist, abhängt.
Mit anderen Worten: Ein Zusammenstoß leitet nur dann eine Reaktion ein, wenn die kinetische Energie, mit der sich die beiden Stoßpartner nähern, beim Aufprall mindestens den Wert der Aktivierungsenergie erreicht. Nach der Stoßtheorie kann die Wahrscheinlichkeit, dass genug Energie dafür vorhanden ist, nach der Boltzmann-Verteilung durch beschrieben werden. Das entspricht der e-Funktion, die Du von der Arrheniusgleichung von weiter oben schon kennst. Die tatsächliche Reaktionsgeschwindigkeit ergibt sich dann zusammen mit der Anzahl der Zusammenstöße Z.
Wenn Du mehr zu diesem Thema wissen willst, lies Dich gern mal in die Erklärung zur Stoßtheorie ein.
Reaktionskinetik – Das Wichtigste
- Die Reaktionskinetik ist ein Teilgebiet der physikalischen Chemie, das sich der Untersuchung der Geschwindigkeit und der Mechanismen von Reaktionen widmet.
- Die Reaktionsgeschwindigkeit ergibt sich aus der zeitlichen Veränderung der Konzentrationen der Edukte bzw. Produkte ab.
- Reaktionen kann eine Reaktionsordnung zugewiesen werden, die angibt, von welchen Konzentrationen die Reaktionsgeschwindigkeit abhängt.
- Nach der Arrheniusgleichung steigert eine höhere Temperatur die Reaktionsgeschwindigkeit.
- Die Arrheniusgleichung ergibt sich aus der Stoßtheorie und der Boltzmann-Verteilung.
Nachweise
- P. W. Atkins (1998). Physikalische Chemie. Wiley-VCH.
- G. Wedler (1997). Lehrbuch der Physikalischen Chemie. Wiley-VCH.
- Prof. Dr. Strey (2009). Reaktionskinetik. strey.pc.uni-koeln.de (23.06.2022).
- E. Riedel; C.Janiak. (2007). Anorganische Chemie. De Gruyter.
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Häufig gestellte Fragen zum Thema Reaktionskinetik
Welche Möglichkeiten gibt es, um die Reaktionsgeschwindigkeit zu ermitteln?
Experimentell kannst Du die Reaktionsgeschwindigkeit ermitteln, indem Du zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten jeweils die Konzentration eines Edukts oder Produkts misst. Die zeitliche Veränderung der Konzentration entspricht der Reaktionsgeschwindigkeit.
Was ist die Reaktionsordnung?
Die Reaktionsordnung gibt an, von wie vielen Edukten die Reaktionsgeschwindigkeit abhängt. Eine Reaktion 2. Ordnung ist beispielsweise von den Konzentrationen zweier Edukte abhängig.
Was ist die Geschwindigkeitskonstante?
Die Geschwindigkeitskonstante wird in der Reaktionskinetik verwendet, um die Proportionalität (wenn zwei Größen im direkten Zusammenhand zueinander stehen) der Reaktionsgeschwindigkeit zu den Konzentrationen der Edukte darzustellen. Sie ist indirekt ein Maß für die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion.
Was ist die Stoßtheorie?
Die Stoßtheorie versucht den mechanischen Ablauf chemischer Reaktionen zu beschreiben. Dazu geht man davon aus, dass für eine Reaktion ein Stoß stattfinden muss, bei der eine bestimmte Aktivierungsenergie überschritten wird. Die beiden Reaktionspartner müssen also eine genügend hohe Bewegungsenergie mitbringen und sich gleichzeitig in unmittelbarer Nähe zueinander befinden.
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